Julian Traut

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Tech im Fokus

Wenn aus schnelleren Pferden Autos werden

“Wenn ich die Leute gefragt hätte, was sie wollen, hätten sie gesagt: schnellere Pferde.” Das Zitat wird Henry Ford zugeschrieben. Vermutlich hat er es nie gesagt, aber ich habe es schon öfters gehört: als Gegenargument zu Nutzerzentriertem Design. Nach dem Motto: Wie sollten uns nicht mit den Nutzer*innen beschäftigen, weil wir eh besser wissen, was…

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UCD

“Wenn ich die Leute gefragt hätte, was sie wollen, hätten sie gesagt: schnellere Pferde.”

Das Zitat wird Henry Ford zugeschrieben.

Vermutlich hat er es nie gesagt, aber ich habe es schon öfters gehört: als Gegenargument zu Nutzerzentriertem Design. Nach dem Motto: Wie sollten uns nicht mit den Nutzer*innen beschäftigen, weil wir eh besser wissen, was sie brauchen. Ich halte das für falsch.

Vor allem, weil es unplausibel ist.

Annehmen statt Zuhören

Stell Dir vor Du gehst in einen Laden, zum Beispiel einen Buchladen und der Verkäufer kommt auf Dich zu und sagt: „Stopp. Sagen Sie nichts. Ich weiß, was Sie brauchen. Hier, dieses Buch sollten Sie unbedingt lesen.“

Seltsam nicht? Vielleicht trifft er tatsächlich Deinen Geschmack, aber mal ehrlich, wie wahrscheinlich ist das. Viel wahrscheinlicher ist es, dass der Verkäufer Dir entweder etwas zeigt, was er selbst gerne gelesen hat oder sich von Vermutungen und Stereotypen leiten lässt. Also etwa: „Der Mensch sieht nach Business aus, da wäre doch das Cafe am Ende der Welt etwas.“

Spannend wird es beim “Warum”

Außerdem hat der oder diejenige, der das falsche Henry-Ford-Zitat verwendet um gegen Nutzerzentrierung zu argumentieren vermutlich noch nie eine echte Nutzerstudie miterlebt. Er oder sie geht vielleicht davon aus, dass man Nutzer*innen einfach fragt, was sie brauchen und das Ergebnis Eins-zu-Eins verwendet.

Das Gegenteil ist der Fall. Meist ist die Antwort auf die Frage „Brauchst Du diese Feature?“ genauso unbrauchbar, wie das Feature selbst. Das Spannende passiert danach, und zwar mit zwei ganz anderen Fragen: Warum? und Was noch?

Warum?“ deckt die zugrundeliegenden Bedürfnisse auf – manchmal muss man erst mehrfach Fragen.

Das „Was noch?“ führt zu weiteren Aspekten, die eine Lösung berücksichtigen sollte.

Eigentlich ist man mit diesen zwei Fragen schon ziemlich gut gerüstet.

Warum schnellere Pferde?

Was hätten die Menschen wohl Henry Ford geantwortet, wenn er auf „Schnellere Pferde“ mit Warum? oder Was noch? geantwortet hätte:

  • Ich möchte gerne schnell von A nach B kommen.
  • Ich hätte gerne Pferde, die mir aufs Wort gehorchen.
  • Und Pferde, die nichts fressen, wenn ich sie nicht reite.
  • Und Pferde, die keine Pferdeäpfel hinterlassen.

Ich finde es gar nicht so unplausibel, warum ein Automobil da recht gut abschneidet.

Und wenn man jetzt, 150 Jahre später, an Pferde denkt, die nichts hinterlassen und die nichts kosten, wenn ich sie nicht nutze, dann kommt man vielleicht bei Elektromobilität und Car Sharing raus. Soviel „wissen“ die Nutzer*innen also doch.


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Julian Traut